Sehnen oder vermissen
2018-03-01
Mein Vater ist gestorben. Ich vermisse ihn, die Gespräche mit ihm, seine Stimme zu hören, über seinen Witz zu lachen, all das vermisse ich, weil es nicht mehr da ist. Nicht mehr wiederkommt.
Habe ich Sehnsucht nach meinem Vater? Nein das habe ich nicht. Worin also liegt hier der Unterschied zwischen diesen beiden Gefühls-Begriffen?
Ist vermissen eher konkret? Kann man etwas Unbestimmtes vermissen? Nein das denke ich nicht. Ich sage selten, ich vermisse etwas, weiß aber nicht genau was. Oder?
Andrerseits, kann ich mich nach einer Dusche sehnen, wenn ich gerade sehr verschwitzt bin. Also auch konkret. Wenn ich in der Wüste bin, sage ich, ich vermisse Wasser. Da würde ich vielleicht nicht sagen, Ich sehe mich nach Wasser. Oder doch? Ich komme dem Unterschied näher, ich spüre es gerade. Aber ich habe ihn noch nicht griffig. Kann ihn noch nicht formulieren.
Sehnsucht ist größer, weiter und geht tiefer. Es ist als lebe das Gefühl der Sehnsucht allgegenwärtig in meiner Seele. Somit wäre dann vermissen doch eher etwas Situatives.
Vermissen ist in der Situation mitunter durchaus schmerzlich, doch ändert sich diese Situation, wird das Vermissen gemindert. Jedenfalls ist das bei mir so. Anders bei der Sehnsucht. Die bleibt bestehen. In dieser und in jener Situation.
Ich denke, wir alle tragen eine tiefe „Ur-Sehnsucht“ in unserer Seele. Allezeit.
Manchmal wird sie aktiv getriggert durch einen bestimmten Song. Ein Kunstwerk auch. Ein Gemälde oder eine Skulptur. Manchmal auch durch eine berührende Geschichte. Das ist individuell. Wenn mich ein Lied berührt, habe ich kein Gefühl von vermissen in mir. Es ist die Sehnsucht, die ich spüre.
Nach einem Telefonat mit meiner Liebe, kann ich jetzt noch etwas Wesentliches hinzufügen. Plötzlich machte es „bing“ und ich wusste, was ich davor noch nicht formulieren konnte.
Vermissen gehört der Vergangenheit an. Es ist somit ganz leibgebunden. Irdische Bedürfnisse. In Anlehnung an das Bekannte. Sehnsucht etwas Zukünftiges und Geistiges. Kann daher auch ganz unbestimmt sein.
So gesehen habe ich auch Sehnsucht nach meinem Vater. Nicht danach, was ich kenne und liebte, und was ich, wie oben beschrieben, vermisse. Mehr danach, ihm in der geistigen Welt zu begegnen.
Kategorie: Gedanken
Tags: philosophisch